20 Monate ist es her, dass Pfarrer Rainer Böhm in Bad Nauheim in den Ruhestand verabschiedet wurde. Jetzt ist er zurück im Dienst der hessen-nassauischen Landeskirche (EKHN). Am 1. Mai hat er die feste Vertretung für die evangelischen Kirchengemeinden Gettenau, Bingenheim und Leidhecken übernommen. „Die Lust an meinem Beruf hat mich eingeholt“, sagt der 68 Jahre alte Theologe und ein bisschen klingt das so, als habe er nur auf eine solche Herausforderung gewartet.
Reihenweise läuten die Pfarrer der Babyboomer-Generation den Ruhestand ein. Und der Nachwuchs für das Seelsorgepersonal fehlt. Auch im Evangelischen Dekanat Büdinger Land sind Stellen zum Teil schon seit langem vakant. Auf der Suche nach Lösungen, wie man dem Pfarrermangel begegnen kann, bietet die Landeskirche der wachsenden Zahl von Ruheständlern an, ins Arbeitsleben zurückzukehren – mit reduzierter Stundenzahl und zeitlich befristet. Rainer Böhm hat sich entschieden: „Für mich ist das ein neuer Anfang.“
Die Kirche ist im Umbruch. Nicht nur Personal fehlt, auch die Mitgliederzahlen sind seit Jahren rückläufig. Damit einhergehend sinken die Einnahmen. Mit dem Transformationsprozess „ekhn2030“ will die EKHN ihre Strukturen diesen Gegebenheiten anpassen und modernisieren. Zukunft gestalten trotz Sparzwang. Rainer Böhm kennt die Ängste, die damit verbunden sind, aus seiner alten Wirkungsstätte nur zu gut, denn das Dekanat Wetterau, zu dem Bad Nauheim gehört, ist in dem Prozess schon weiter als das Büdinger Land. „Ich weiß aber auch um die Chancen, die damit verbunden sind“, sagt er. Deshalb sei er dankbar, diese Entwicklung nun noch einmal begleiten und gestalten zu dürfen: „Es ist eine spannende Zeit.“
Frankfurt, San Francisco, Mainz und Bad Nauheim waren die beruflichen Stationen des Theologen. Und nun drei kleine Landgemeinden. Kann das gutgehen? Gegen die wechselseitigen Klischees, mit denen sich Stadt- und Landmenschen begegnen, seien auch Pfarrer nicht gefeit, gibt er zu. Aber es reize ihn, noch einmal eine neue, eine andere Perspektive einzunehmen.
Sein Bild vom Leben auf dem Land hat er sowieso längst revidiert. Seit zwei Jahren ist er in Ranstadt daheim. Es war eine bewusste Entscheidung, in die hügelige östliche Wetterau zu ziehen. Der Ruheständler wollte Abstand zu seiner Bad Nauheimer Gemeinde, in der er 28 Jahre lang tätig war, seine Frau wollte einen Garten. Mit dem E-Bike und einer „Ältere-Männer-Walking-Gruppe“, an die er schnell Anschluss gefunden hat, entdeckt er die Annehmlichkeiten der Abgeschiedenheit. „Mir geht das Herz auf, wenn ich über den Hügel von Blofeld kommend die Wetterau und den Taunus vor mir liegen sehe.“
Im Nachbarschaftsraum Ranstadt – Echzell, zu dem „seine“ drei Gemeinden gehören, arbeitet Rainer Böhm mit den jüngsten Pfarrkollegen im Dekanat zusammen. Auch das gefällt ihm an der Aufgabe. Die ersten Gespräche verliefen offen und konstruktiv. Er freut sich auf die Zusammenarbeit in dem jungen engagierten Team.
Jetzt muss er noch eine Balance finden zwischen der Arbeit – und der möglichen Erwartung, ein jederzeit verfügbarer Pfarrer zu sein - und seiner eigenen Vorstellung, zugleich im Ruhestand zu sein. Um beispielsweise Kinder in Wien, Berlin, Chemnitz, Frankfurt, Fulda und Bad Nauheim zu besuchen. Oder im Keller Schlagzeug zu spielen. „Dafür braucht es Toleranz und Flexibilität auf beiden Seiten. Ich will mein Bestes geben, damit es gelingt“, bekräftigt er.
Rainer Böhm war und ist gerne Pfarrer. Eigentlich muss er das gar nicht betonen. Die Begeisterung schwingt in jedem seiner Sätze mit. Zwei Worte fallen dabei immer wieder: Freude und Dankbarkeit. Freude darüber und Dankbarkeit dafür, Menschen begleiten zu dürfen von der Wiege bis zur Bahre, in Phasen größten Glücks und tiefster Trauer, teilzuhaben an der Lebensfülle und Lebensdichte. Die Geschichten, von denen er in seinem Beruf erfahre, seien „wie Schätze“. Mit dem Sammeln dieser Schätze ist er noch lange nicht fertig. (jub)