32 Jahre lang war Kerstin Mohn Pfarrerin der Kirchengemeinde Herrnhaag, fast ihr halbes Leben. Dabei hatte sie nie vorgehabt, so lange an einem Ort zu bleiben. „Aber es gab einfach keinen Grund zu gehen“, beteuert sie. Nun muss sie das Pfarrhaus in Vonhausen und die kleine Kirche auf dem Herrnhaag, die ihr ans Herz gewachsen ist, verlassen: Kerstin Mohn geht in den Ruhestand. Morgen wird sie im Gottesdienst entpflichtet.
Ihrer Zukunft blickt sie mit gemischten Gefühlen entgegen. Sicher, sie freut sich, aufs Reisen und Wandern, auf Treffen mit Freundinnen, wofür ihr der Beruf nur wenig Zeit gelassen hat, auf einen Kochkurs, damit sie es endlich „richtig“ lernt. Und doch ist ihr auch ein wenig bang: „Ich weiß noch nicht, was das mit mir machen wird.“ Der Beruf hat sie immer ausgefüllt. Die Arbeit mit Kindern - pure Freude, wenn sie davon erzählt. Jedes Jahr hat sie ein Krippenspiel geschrieben und mit den Kindern aufgeführt. Zum Abschied unternimmt sie mit ihnen noch eine Nachtwanderung, 35 haben sich schon angemeldet.
Menschen begleiten, ihnen Halt geben und für sie da sein, von der Wiege bis zur Bahre, so versteht sie ihren Beruf. Trotz aller Veränderungen könne Kirche noch immer den Blick auf den Einzelnen legen: taufen, konfirmieren, trauen und auch den letzten Weg mitgehen. „Was für eine Ehre, die letzten Worte über einen Menschen sagen zu dürfen und so sein Leben zu würdigen.“ Dankbarkeit mischt sich in ihre Worte, wenn Kerstin Mohn solche Sätze sagt.
Der Vater hätte die Tochter gerne als Ärztin oder Anwältin gesehen, die junge Kerstin aber wusste früh: „Ich will mit Menschen arbeiten.“ In Nidda, wo sie aufgewachsen ist, vermittelte in den 1970ern ein junger Pfarrer den Jugendlichen ein neues, ein anderes Bild von seinem Beruf: zugewandt, dynamisch, unkonventionell. Den spirituellen Input gab es im Bibelkreis am Gymnasium. Es muss eine besondere Atmosphäre gewesen sein, denn vier oder fünf aus Kerstin Mohns Jahrgang ergriffen den Pfarrberuf.
Sie erinnert sich noch, wie die Evangelische Kirche damals um junge Frauen und Männer warb: „Weil Menschen Menschen brauchen.“ Der Satz wurde zu ihrer Maxime. Als Pfarrerin wollte sie immer nahbar sein. Ansprechbar. Teil des sozialen Kitts, der ihre drei Dörfer Vonhausen, Diebach am Haag und Lorbach zusammenhält. „Ich bin keine Pfarrerin mit Sprechstunde. Ich lebe mit den Leuten.“
Nach Vonhausen kommt man nur, wenn man muss. Oder will. Das Dorf abseits der großen Straßen passieren weder Pendler noch Touristen. Und so musste Kerstin Mohn ihre Mutter fragen, als sie sich 1992 um die Pfarrstelle Herrnhaag bewarb: „Wo liegt das überhaupt, Vonhausen?“
Mit ihrem damaligen Mann Oliver Nünninghoff teilte sie sich zunächst die Stelle. Das hatten sie nach ihrer Ordination im Februar 1986 schon in Höchst im Odenwald auf ihrer ersten Pfarrstelle so gehalten. Das war die Zeit der Babyboomer und es gab viel mehr Bewerber als Pfarrstellen. Den Mohns genügte die eine Stelle. „Wir haben uns bewusst dafür entschieden und immer gut zusammengearbeitet“, sagt Kerstin Mohn, die damit sowohl Pfarrerin als auch Pfarrfrau war. Kein leichter Start: Die älteren Kollegen beäugten die junge Frau kritisch und die Pfarrfrauen luden sie nicht zu ihren Treffen ein, weil sie auch Pfarrerin war.
Heute amüsieren Kerstin Mohn diese „anderen Zeiten“ Ende der 1980er Jahre. Aber damals, als einzige Frau im Odenwälder Pfarrkonvent, war ihr nicht immer zum Lachen zumute. Bei ihrem letzten Pfarrkonvent im Dekanat Büdinger Land Mitte Februar in Vonhausen berichtete sie den Kollegen, wie sie im Vikariat nach einer Beerdigung von einem Gemeindemitglied gelobt wurde: „Das haben sie aber schön gemacht. Hat ihr Mann ihnen geholfen?“ Großes Gelächter, die Zeiten haben sich gottlob gewandelt.
Seit 2012 ist sie alleinige Inhaberin der Pfarrstelle. Drei Dörfer, ein Kirchenvorstand, eine Kirche, sonntags nur ein Gottesdienst. „Das ist schön. Doch uns gehört auch der Friedhof, den wir pflegen und verwalten müssen.“ Viel Arbeit. Einerseits. Andererseits „gab mir der Friedhof die Möglichkeit mit Menschen in Kontakt zu kommen, mit denen ich als Pfarrerin sonst nicht in Kontakt gekommen wäre“. Mit der Reform der EKHN wird sich auch die Kirchengemeinde Herrnhaag verändern.
Die Konfirmation am 12. Mai wird Pfarrerin Kerstin Mohn noch feiern, auch taufen und trauen wird sie noch, aber sie packt schon. Die Verantwortung abzugeben, fällt ihr nicht leicht. In Altenstadt hat sie eine Wohnung, in der zurzeit noch ihr Sohn lebt. Sie will auf jeden Fall in der Gegend bleiben. Hier sind ihre Freunde, ihre 95-jährige Mutter. Alles wird sich fügen, sie sei „neugierig und offen“. (jub)