Aushalten, nicht ausweichen

veröffentlicht 08.02.2024, Kirche im Evangelischen Dekanat Büdinger Land

Im Pferdestall des Büdinger Oberhofs lesen die beiden Schauspieler Edgar M. Böhlke und Claudio Vilardo aus einem mehr als 20 Jahre alten E-Mail-Schriftwechsel über den Nahost-Konflikt, der heute aktueller ist denn je, weshalb ihn der Hanser Literaturverlag nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel neu aufgelegt hat.

Es war ein Abend, der noch lange nachhallt: Denn die beiden, die sich da über einen Zeitraum von drei Monaten austauschen - der Israeli Natan Sznaider und der Deutsch-Iraner Navid Kermani -, zeigen, was in der öffentlichen Debatte über den Konflikt kaum möglich scheint und doch so bitter nötig wäre: dem Gegenüber zuhören, sich auf seine Gedanken und Argumente einlassen und versuchen, seine Sichtweise zu verstehen. Oder wenigstens zu respektieren. „Wir lernten voneinander, dass jeder von uns vielleicht auch denken würde wie der andere, wenn ihn dessen Erlebnisse und Erfahrungen geprägt hätten“, sprechen Edgar M. Böhlke in der Rolle des des Soziologen Natan Sznaider und Claudio Vilardo als der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani nach gut 60 betroffen machenden Minuten den Epilog gemeinsam.

Das Evangelische Dekanat Büdinger Land hatte zu dieser Lesung eingeladen. Es folgte damit einer Initiative aus Frankfurt, die im Dezember eine Lesereihe aus dem Buch „Israel. Eine Korrespondenz“ Navid Kermani und Natan Sznaider angeregt hatte, weil diese Korrespondenz ein Modell anbieten könne, „wie man sich zu den aktuellen Ereignissen in Israel und Palästina verhalten könnte, ohne in antisemitische und muslimfeindliche Ressentiments zu verfallen“, so Werner Heinz und Diwi Dreysse, die den Aufruf gestartet hatten. Letztgenannter war am Mittwoch in Büdingen im Publikum und sichtlich bewegt. Es sei die mittlerweile siebente Lesung der Reihe, die er besucht habe, aber keine habe ihn so angerührt wie diese. Das sei Verdienst der beiden Schauspieler, die den Text nicht gelesen, sondern die Rollen der Schreiber Kermani und Sznaider eingenommen und deren starken Emotionen glaubhaft Ausdruck verliehen hätten. Zudem lobte Dreysse die Textbearbeitung von Claudio Vilardo, der das Werk „auf das Kernproblem fokussiert“ habe, so Dreysse.  

Die darstellerische Leistung von Edgar M. Böhlke und Claudio Vilardo ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass die beiden sich nur zweieinhalb Stunden vor der Lesung zum ersten Mal persönlich begegnet sind. Alle Absprachen hatten zuvor telefonisch stattgefunden. Gleiches gilt für den Klarinettisten Roman Kuperschmidt, wie Vilardo aus Frankfurt. Kuperschmidt war spontan eingesprungen, weil der angekündigte Markus Rölz erkrankt war. Seine melancholische Liedauswahl und sein einfühlsames Spiel schufen die Atmosphäre, in der die gesprochenen Worte nachwirken konnten.  

Hintergrundinformationen und Fakten zum Nahost-Konflikt steuerte Pfarrer Dr. Dr. Peter Noss bei. Er ist im Zentrum Oekumene der beiden Landeskirchen EKHN und EKKW Referent für den interreligiösen Dialog mit dem Schwerpunkt Judentum und Naher Osten. Der Überfall auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres bedeute eine tiefgreifende Zäsur und habe weltweit Folgen für Menschen jüdischen Glaubens, sagte Noss, der noch im September vergangenen Jahres selbst in Israel war. Der Antisemitismus habe extrem zugenommen. Er forderte dazu auf, der Komplexität des Konfliktes nicht auszuweichen, sondern sie auszuhalten und immer wieder aufzustehen gegen Antisemitismus. 

Der Abend endete mit dem Friedensgebet von Coventry, das Dekanin Birgit Hamrich und DSV-Mitglied Maria-Louise Seipel gemeinsam sprachen: „Den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse, Vater, vergib.“ (jub)